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Das 5. Naturhornseminar in Annweiler – eine Hymne

„Das 5. Naturhornseminar in Annweiler – eine Hymne

Zum 5. Mal fand 2023 im schönen Annweiler, eingebettet in die waldreiche Mittelgebirgslandschaft der Süd-Pfalz (nahe der legendären Weinstraße gelegen) vom 18. bis zum 20. August das von Ralph Fischlhammer – unterstützt von seiner Frau Patti – organisierte Naturhorn-Seminar statt. Die Veranstaltung dieser hochkarätigen „bläserischen Fortbildung“ gilt unter Eingeweihten – und anders kann man jene, die sich dem Naturhorn mit Leidenschaft verschrieben haben, ja kaum bezeichnen! – aus gleich mehreren Gründen als einzigartig.

Zum einen steht während des verlängerten Wochenendes allein das sogenannte Inventionshorn (also das ventillose, dem F-Waldhorn ähnliche Naturhorn mit seinen aufgesteckten Bögen für jede zu spielende Tonart, das auch als „Cor d’orchestre“ bekannt ist) im Mittelpunkt aller Bemühungen um den so zauberhaften Klang dieses Instruments, für das Händel, Mozart und Beethoven, um nur die ganz Großen zu nennen, ihre Kompositionen für Horn geschrieben haben.

Handgemacht und mundgeblasen …

Und das heißt: anders als etwa bei dem – ebenfalls großartigen – Naturhorn-Seminar im Kloster Hedersleben, wo das Parforcehorn in Es in der Tradition der jagdlich-konzertanten Hornmusik im Fokus steht, liegt in Annweiler der Schwerpunkt auf dem kammermusikalischen Zusammenspiel, eben mit dem Inventionshorn, auf dem (was hier nur kurz für jene Lesenden erwähnt werden soll, die mit dem Instrument noch nicht vertraut sind) alle außerhalb der Naturtonreihe liegenden Töne „von Hand gemacht und mundgeblasen“ werden, was heißt: die Hand im Trichter – der sogenannten „Stürze“ – formt, im Zusammenwirken mit Ansatz und Lippen- und Atemtechnik, den Ton, der schließlich erklingen soll.

Das hört sich anspruchsvoll an – und das ist es auch! Schon das, ab etwa 1815 mit den ersten Prototypen entwickelte Ventilhorn gilt ja gemeinhin als das schwierigste Blechblasinstrument im Orchester, weshalb es dort auch mit dem Kosenamen „Glücksspirale“ belegt worden ist, wie der ehemalige Hornist der Berliner Philharmoniker Klaus Wallendorf in seinem Buch „Zwischen Mundstück und Mikrofon“ erzählt und bekennt: „Niemand kann eigentlich perfekt Horn spielen“, denn die Bauart des über so viele Meter konisch verlaufenden „Rohr-Gewindes“ jenes Instruments bedingt, dass selbst Profis – bei denen das berühmte „Kieksen“ genauso gefürchtet ist wie von Amateuren – sich niemals absolut sicher sein können, ob das am Ende auch rauskommt, was sie vorne hineinblasen! 

Das Inventionshorn – kein Instrument eigentlich, sondern ein Körperteil!

Diese Schwierigkeit wird nun beim Naturhorn noch einmal „getoppt“, folgen die Bläserin und der Bläser doch allein ihrem Gehör – ja, man könnte sagen: das Naturhorn wird beim Spiel zu einem „Körperteil“, mit dem die Musiker im besten aller Fälle verschmelzen, wenn sie darauf, ohne Drücker oder Tasten, ihre Musik miteinander stimmig erklingen lassen wollen und jeden Ton, so sagt es Zoë Stevens vom Naturhorn-Netzwerk, im Ensemble „miteinander aushandeln“ müssen, damit die Intonation stimmt.

Welch‘ ein Glücksfall nun, wenn Naturhornisten (und zumal Laien) von den Besten der Besten ihres Faches unterrichtet werden, wie das auch 2023 in Annweiler wieder der Fall war: Kein Geringerer nämlich als Wilhelm Bruns (seine Einspielung der Mozart’schen Hornkonzerte mit dem Mannheimer Mozartorchester unter der Leitung von Thomas Fey [2005] gilt vielen bis heute als Referenz) empfing uns als „Chefdozent“ unserer kammermusikalischen Klausur im Turnerjugendheim des Pfälzischen Turnerbundes, das sich erneut als insofern optimale „Location“ erwies, als dass großzügige Probenräume, handfeste Küche, ehrlicher Pfälzer Wein (… am Abend, nach der letzten Unterrichtseinheit bis 21.30 Uhr) und eine zweckmäßige Unterbringung beste Bedingungen garantierten.

Zwei Meister ihres Fachs, als Naturhornisten und Lehrer

An Wilhelms Seite – ein zweiter Meister auf dem Naturhorn und ein ebenfalls begnadeter Lehrer dazu: der Niederländer René Pagen, Solo-Hornist (seit 2004) des Residentie Orchest Den Haag, der sich einst, da schon längst Profi auf dem Ventilhorn, von Wilhelm Bruns auf dem Inventionshorn „kollegial ausbilden“ ließ, nachdem er jenen zum ersten Male auf diesem Instrument hatte zaubern hören und bei sich dachte: „Dat wil ik ook kunnen!“ Zu beiden Künstlern hält das Internet eine Fülle von Informationen bereit, die zu goggeln sich lohnt, und natürlich kann man sie dort auch hören: große Empfehlung!

Was aber treibt zwei international bekannte und gefragte Naturhornisten wie Réne Pagen und Wilhelm Bruns, der vor einiger Zeit seine Orchesterlaufbahn als Solo-Hornist am Mannheimer Staatstheater beendete, aber als Solist – wie kürzlich im „Quoniam“ der Bach’schen H-Moll-Messe auf dem Rheingau Musikfestival – weiter zu hören ist, bloß dazu, ihre Zeit und ihr Können in einem Kreis von Laien einzusetzen, und zwar mit einem derart professionellen Engagement, wie man es sonst nur an einer Musikhochschule oder einem Meisterkurs erwarten würde?

Und was treibt so eine Gruppe von Amateuren dazu, sich in jeder freien Minute, als gäbe es kein Morgen mehr, einem derart vertrackten Instrument der Alten Musik zu widmen und aus allen Regionen des Landes (aus Usedom, aus Lübeck, aus Köln, aus Frankfurt …) anzureisen, um sich Jahr für Jahr und manchmal sogar zweimal in einem pfälzischen Weindorf einzufinden, um miteinander Kammermusik auf dem Naturhorn zu machen, die anderswo kaum je oder doch nur höchst selten zu einer Aufführung vor Publikum gelangen wird?

Begeisterung, Leidenschaft, Hingabe

Sowohl Lehrer als auch Schülerinnen und Schüler – kaum einer (diesmal) unter Sechzig und zwei von uns schon in ihren Achtzigern! – würden, wenn sie an dieser Stelle darum gebeten wären, wohl gewiss dieselbe Antwort auf die Frage nach ihren Motivationskräften geben: Begeisterung, Leidenschaft und Hingabe. Wie genau aber erklärt sich jenes Zusammenfinden der Bewohner zweier so entfernter Sterne – des Planeten der Profis und des Trabanten der Amateure – in dieser unglaublichen Intensität, mit der beide gemeinsam ihrer Passion in Annweiler nachgehen? 

Aus Sicht der Dozenten: Wilhelm und René, erfahren es, wie sie beide versichern, als zutiefst befriedigend, die von ihnen selbst empfundene Faszination für das Naturhorn lehrend an wahrhaft dem Instrument Verschriebene weiterzugeben und über die Jahre zu erleben, wie ihre Gaben dort Früchte tragen, wo der Samen (… daher kommt ja der Begriff „Seminar“) – egal, ob bei Profis oder Laien – auf jenen fruchtbaren Boden der Begeisterung fällt. Und es sei, über Jahrzehnte hin, nicht zuletzt die Welt der Amateure, ob in konzertant aufspielenden Jagdhorngruppen oder eben Kreisen von Inventionshornisten, gewesen, in der das Spiel auf dem Naturhorn eben in solcher Intensität „gelebt“ worden sei und das Instrument in gewisser Weise „überlebt“ habe, bevor es im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts durch die Arbeit von Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und Hornisten wie Hermann Baumann – die beiden großen Protagonisten – ins Bühnenlicht der größeren Öffentlichkeit trat, im Zuge der Entdeckung und Pflege der historischen Aufführungspraxis.

Aus Sicht der Laien: für jede und jeden von uns gab es irgendwann jenen magischen Moment, in dem wir zum ersten Mal den Klang eines Inventionshorns „live“ hörten, im selben Moment seinem Zauber erlagen und fortan nur noch den einen Gedanken denken konnten, den René so treffend in seiner Muttersprache auf den springenden Punkt gebracht hat: „Dat will ik ooch kunnen!“ Und niemand (ich vermute, wenn ich nur an mich selbst denke, während ich schreibe) wird sich in jenem Moment die – sonst übliche – Frage gestellt haben, bevor man größere Mühen und auch Kosten auf sich nimmt: Was bringt es am Ende – werde ich dieses Instrument je beherrschen?

Der Weg bleibt das Ziel – und Liebe macht Arbeit!

Falsche Frage: ein Naturhorn lässt sich nicht „beherrschen“ – nur heiß und innig umwerben und vielleicht irgendwann erobern … Oder anders formuliert, um es mit der sprichwörtlichen großen Weisheit des Zen-Buddhismus zu sagen: Der Weg ist das Ziel – und er bleibt das Ziel, das allein in der Hingabe zu finden ist – und in der immensen Freude, diese Hingabe mit anderen „Liebenden“ musikalisch zu teilen, wie zuletzt wieder in jenen Augusttagen in Annweiler.

Doch Liebe – die macht bekanntlich auch Arbeit! Und das hieß für die elf Teilnehmenden des Annweiler Naturhornseminars 2023 in den beiden Gruppen: 

  • morgendliches Warmmachen, beginnend mit „Buzzing“ ohne Mundstück, das heißt Tonerzeugung allein durch Vibration der Lippen, zuerst in kleinen Amplituden, allmählich gesteigert bis über eine Oktave hinweg: Voraussetzung dafür, dass ein Horn und überhaupt jedes Blechblasinstrument denn irgendwann auch klingt. Denn die Lippen sind bekanntlich der Generator – also der physikalische Teil des akustischen Systems, das den Ton ursächlich erzeugt, indem besagte Lippen in Schwingung gebracht werden, ganz so wie die Stimmbänder im Kehlkopf beim Singen. Auf jene Lippen dann aufgesetzt, und zwar möglichst ohne Druck, fungiert das Mundstück nun als „Schnittstelle“ – nämlich zum Horn, das im besagten akustischen System die Funktion des Resonators erfüllt und damit: den klangvollen Ton zu Gehör bringt, im besten aller Fälle.
  • Atemarbeit, Luftfluss bzw. die Arbeit an einer stabilen Luftsäule, die den Ton trägt – dazu ein „Workout“ der sogenannten „embouchure“, das heißt: Training der Ringmuskulatur des Mundes und der Lippen im Zusammenspiel mit der Zunge, die nicht nur beim Anstoß eine entscheidende Rolle spielt, nämlich zum Beispiel dann, wenn es gilt, Höhe zu gewinnen und sauber und stabil zu halten, während der Hals und insbesondere der Kehlkopf unbewegt bleibt und das Zwerchfell und die Rumpfmuskulatur für „Stütze“ und Luftimpulse sorgen, welche die Töne (übrigens auch bei Legato, sprich dem Binden) erst kraftvoll „kommen“ lassen.
  • Tonleitern – zunächst nur der Naturtonreihe und schließlich, über die gesamte Chromatik hinweg über drei Oktaven (außer unseren beiden Lehrern gelingt das bruchlos und schön eigentlich niemanden von uns, von Sternsekunden mal abgesehen) in unterschiedlichem Rhythmus und anschließend Etüden und Übungen aus Wilhelms Naturhornschule.
  • Das alles gemeinsam und immer wieder auch einzeln (kurz angemerkt, am Rande: auch Einzelunterricht steht immer auf dem Programm der Annweiler Naturhorntage), bis dann gegen den späten Vormittag hin das erste Stück – ein Quartett von Oestreich, ein Trio von Reicha, beispielsweise – erarbeitet wird in allen seinen Aspekten des Verständnisses der Komposition, das sich dann ausdrückt in einer „logischen“ Folge richtig betonter Phrasen und Zielnoten bis hin zur Intonation und natürlich der Findung einer gemeinsamen Klangvorstellung durch intensives Aufeinander-Hören, bis zum Mittagessen.
  • Am Nachmittag dann wieder ein neues Stück, in beiden Gruppen, an dem meist über die gesamte Zeit (unterbrochen von einer Kaffeepause, natürlich mit Kuchen) geprobt wird, um es zum Schluss am Sonntagvormittag dann mit allen Teilnehmenden in großer Runde „aufzuführen“ – vielleicht im kommenden Jahr einmal in einer Kirche oder auf dem Marktplatz eines der Weindörfer? 
  • Nach dem Abendessen immer noch eine Theorie-Einheit – oder Weiterarbeit im Ensemble, bevor sich dann alle, redlich „abgeblasen“, aber frisch geduscht, draußen bei der Linde zum Riesling oder einem Grauen Burgunder wiederfinden und die Gespräche angeregt ihren Lauf nehmen, wobei sich dann doch meist wieder (fast) alles ums Inventionshorn dreht. 
  • Der Samstagabend ist stets einem besonderen Programm vorbehalten: die Dozenten – an Seminar-Wochenenden mit zwanzig oder Dreißig Teilnehmenden bilden sie ein Trio oder Quartett – zeigen, was sie am Horn draufhaben und sprühen dabei vor Inspiration, während sich uns die Gänsehaut aufstellt … Auch eine literarische Lesung mag willkommen sein oder ein musikalisches Experiment: Horn und Kontrabass! Der Kreativität der Gruppe sind keine Grenzen gesetzt!
  • Spätestens gegen Mitternacht streben alle in ihre spartanisch (aber, wie gesagt: zweckmäßigen) Zimmer, denn eines ist sicher: Schon um 9 Uhr geht es weiter am anderen Tag, und zwar nicht mit dem Frühstück – das sollte bis dahin bereits eingenommen worden sein –, sondern mit dem Seminar! Da will man, auch schon mit Ende Fünfzig, Anfang Sechzig, dann doch wieder einigermaßen fit sein …

Nach all der Arbeit (am Horn) nun aber wieder zurück – zur Liebe (zum Horn), wobei wir alle erfahren haben und immer wieder neu erfahren: das eine ist ohne das andere nicht zu haben! Zur Liebe aber gehört auch das Menschliche, genauer gesagt: das Zwischenmenschliche, und nichts befördert ein gedeihliches Miteinander so sehr wie eine gemeinsame Leidenschaft – für etwas, in dem Falle: das Horn. Und wer sich dem Horn, zumal dem Naturhorn, ja dem Inventionshorn gar, mit ganzer Seele verschreibt, der oder die ist in aller Regel auch ein freundlicher Zeitgenosse.

Ein Klima des Vertrauens – ehrliche Kritik und großzügige Wertschätzung

Aus der persönlichen Perspektive des Autors beschrieben und bezeugt: ein Naturhornseminar mit Wilhelm und René – oder auch Stefan Oetter, der in diesem Jahr nicht dabei war, so wie auch Etliche unserer sonst teilnehmenden „Stammbesetzung“ diesmal fehlten, weil sie in diesem Sommer andere Verpflichtungen hatten oder in Urlaub fahren „mussten“ mit der Familie – garantiert ein Klima des Vertrauens und eine Stimmung des Wohlwollens, worin wir uns mit unseren musikalischen Stärken und Schwächen frei begegnen und einander zeigen können, um voneinander zu lernen, ehrliche (und niemals verletzende) Kritik zu erfahren und großzügige Wertschätzung. Konkurrenz ist belebender Ansporn, im abgeklärten Wissen darum, dass wir alle unterwegs sind und bleiben und niemand von uns auf diesem Weg des Naturhorns je ankommen wird, es sei denn: in der beglückenden Gegenwärtigkeit des gemeinsam geteilten musikalischen Moments, wenn „es“ zum Klingen kommt.

Das Geheimnis des „Es“

Was aber ist dieses „Es“? In dem Fall einmal nicht die Tonart! Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt das Phänomen als das, was sich ereignet, wenn „Resonanz“ (so auch der Titel seines Buchs) zwischen Menschen und ihrem (gemeinsamen) Tun entsteht – ein Gefühl, schreibt Rosa, als ob jene Drähte, die uns, durch das, was wir tun, mit der Welt glückhaft verbinden, plötzlich zu vibrieren beginnen. Nirgends aber wird solche Resonanz wohl stärker erfahrbar als beim gemeinsamen Musizieren auf einem Naturhorn. Diese im Sinne des Wortes beschwingende Resonanz-Erfahrung teilen Dozenten und „Seminaristen“ in Annweiler gleichermaßen. Das macht die Magie jener Tage im Kern wohl aus.

Ad multos annos!

Wilhelm Bruns ist in diesen Tag nun selbst Sechzig geworden, obwohl man ihm – dem von der Natur und nicht allein dem Naturhorn Begnadeten – das überhaupt nicht ansieht. Mögen ihm – und uns und allen, die vielleicht noch in unseren Kreis treten werden – noch viele gemeinsame Jahre mit dem Naturhorn geschenkt sein, in diesem Sinne: ad multos annos!“

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