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„Darf man das?“ – Ein ungewöhnlicher Anlass, Alphörner erklingen zu lassen

„Darf man das?“ – Ein ungewöhnlicher Anlass, Alphörner erklingen zu lassen

Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich Passanten kürzlich in Hamburg, nahe der Elbe und unweit der Reeperbahn, bot. Inmitten einer Protestaktion von Atomkraftgegnern, deren Ziel es war auf Risiken aufmerksam zu machen, die von den grenznahen Schweizer Atomkraftwerken ausgehen, standen eine Alphornbläserin und ein Alphornbläser und ließen ihre Instrumente erklingen – nicht als folkloristische Einlage, sondern als musikalischer Teil eines ernsten Vorhabens. 

Vor dem Hintergrund einer realen Gefährdung im Falle einer Havarie eines grenznahem Schweizer Atomkraftwerkes, wurden Alphornbläser gesucht, die eine Aktion der Organisation „ .ausgestrahlt e.V.“  anläßlich der Tagung der Deutsch-Schweizerischen Atom-Kommission in Hamburg, musikalisch unterstützen sollten.  Gewünscht war, das Überreichen eines kritischen Fragenkataloges zu grenznahen Uralt-AKW an die Deutsch-Schweizerische Atom-Kommission und die Forderung an die Bundesregierung sich für ein schnelles Abschalten der grenznahen Risiko-Reaktoren einsetzen, mit Alphornklängen zu begleiten.  Die Schweizer Atomkraftwerke sind längst nicht nur Gegenstand innerpolitischer Diskussionen der Schweiz. Zwei der grenznahen Kraftwerke gehören zu den dienstältesten Atomkraftwerken der Welt und eine aktuelle Analyse des des Trinationalen Atomschutzverbands (TRAS) zeigt, dass ein schwerer Unfall in einem der grenznahen Schweizer AKW Deutschland stärker treffen würde, als die Schweiz selbst (s. https://atomschutzverband.ch/gefaehrdung-sueddeutschland/)

Die Anfrage nach Mitwirkung an der Protestaktion löste sofort hitzige Diskussionen unter angefragten Alphornbläsern aus. Das Spektrum der Äußerungen reichte von der Befürchtung „ideologischen Bauchgrimmens“ bei einer Mitwirkung und der Warnung, die eigenen „Instrumente nicht instrumentalisieren zu lassen“ bis zu vorbehaltloser Zustimmung und Unterstützung des Vorhabens.  Darf man das Alphorn in den Dienst einer politischen Botschaft stellen? Darf man mit Alphornmusik umweltpolitische Debatten befeuern? Darf man mit einem Alphorn Zeichen außerhalb traditionell mit Raum und Klang heimatlicher Natur und Kultur verbundener Anlässe setzen?  

Die Antwort lautet ganz klar: Ja. Man darf. Und mehr noch – man sollte es sogar. Die Alphornklänge während der halbstündigen Aktion wurden zum emotionalen Verstärker sachlicher Informationen. Sie riefen nicht zur Angst oder zur Konfrontation auf, sondern zur Verantwortung. Sie ließen eine Stimmung entstehen, die weit über bloßen Protest hinausging – in eine seelische Bewegung. Jeder weiß: Klänge öffnen Herzen, beruhigen die Gemüter, wecken das Gewissen, lassen die Zuhörer innehalten. Das Alphorn ruft traditionell zur Achtsamkeit, zur Erinnerung, zur Solidarität. Und es lässt hoffen – auf eine Gesellschaft, die sich ihrer Grenzlagen, ihrer Verantwortung und der Sicherheit von Menschen bewusst ist.

Die Hamburger Alphornklänge werden nicht dazu beitragen Atomkraftwerke abzuschalten, aber sie können gesellschaftliche Wirkung entfalten, Diskussionen befördern, Bewusstsein schaffen. Vor dem ernsten Hintergrund war die Form der musikalische Unterstützung daher keineswegs exzentrisch, sondern durchaus angemessen und berechtigt.

Halten wir fest: Musik – selbst in der unvermutetsten Form – kann Dialoge beflügeln und Aufmerksamkeit schaffen. Die positive Bewertung dieser Aktion liegt gerade in ihrer Subtilität. Hier brauchte es kein aggressives Getöse, sondern ein fast meditatives Blasen, das Menschen der beteiligten Länder ansprach. Was an diesem Tag deutlich wurde: Alphornmusik konnte verbinden, bewegen, aufrütteln – gerade deshalb, weil sie in einem so ungewöhnlichen Kontext erklang. Die Bläserin und der Bläser, beide aus Norddeutschland, wählten bewusst klassische Alphornstücke – „Gruß aus Adelboden“ als musikalisches Statement mit seinem Bezug zum Überschreiten von Landesgrenzen, „E truurigi Ziit!“ als Klang der Betroffenheit, „Klagst du“ als Einladung, nicht stumm zu bleiben, die Signalsequenz von „Uf em Dosse“ als Warnruf und Aufforderung zum Handeln. So wurden unpolitisch komponierte Schweizer Alphornweisen durch ihre Aufführung an diesem Ort zu musikalischen Kommentaren und transportierten den ernsten Apell an die Deutsch-Schweizerische Atom-Kommission: Achtet auf die Gefahr! Schaut nicht weg, wenn es um Sicherheit geht – auch jenseits der Landesgrenzen.

Lasst uns daher ermutigt sein, Alphörner – und andere Instrumente – auch bei anderen ungewöhnlichen Anlässen zum Klingen zu bringen, wenn sie helfen, wichtige Anliegen zu unterstützen und auf musikalische Weise zu fragen:  Hört ihr? Versteht ihr? Wollt ihr mit uns überlegen, wie es weitergehen kann?

29.10.2025   Volker Krötz